In einem Rechtsstreit muss ein deutsches Gericht auch über ausländisches Recht entscheiden, soweit dieses maßgeblich ist. Diese Pflicht folgt aus § 293 ZPO, wonach das Gericht nicht auf die von den Parteien beigebrachten Nachweise beschränkt, sondern vielmehr befugt ist, auch andere Erkenntnisquellen zu benutzen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das Erforderliche anzuordnen.

Das Gericht muss das ausländische Recht von Amts wegen selbst ermitteln. Wie sich das Gericht diese Kenntnisse verschafft, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Es gilt der Freibeweis, das Gericht darf sich also sämtlicher Beweismittel und Erkenntnisquellen bedienen. Zu den Möglichkeiten des Gerichts gehört auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum ausländischen Recht. Die Aufgabe des Sachverständigen beschränkt sich allerdings darauf, die vom Gericht gestellten Beweisfragen zum ausländischen Recht zu beantworten. Die Ermittlung, Auslegung und Anwendung des in Deutschland geltenden Internationalen Privatrechts (IPR) sowie die Entscheidung des konkreten Falls (d.h. Sachverhaltsermittlung und Subsumtion) unter Anwendung ausländischen Rechts bleiben stets originäre Aufgaben des Gerichts.

Das Gericht muss, wenn es bei der Entscheidung auf ausländisches Recht ankommt, dies mit den Parteien erörtern (rechtliches Gehör) und ihnen Gelegenheit geben, zu dessen Ermittlung und Inhalt vorzutragen. Soweit sich das Gericht, z.B. aufgrund von eigenen Recherchen, eine vorläufige Meinung zum Inhalt des ausländischen Rechts gebildet hat, teilt es diese den Parteien mit (Hamburger Leitlinien (2023), Art. 2 § 2 Ziff. 2).

Die Parteien des Rechtsstreits können das Gericht bei der Ermittlung ausländischen Rechts unterstützen, sind über ihre allgemeine Prozessförderungs- bzw. Mitwirkungspflicht hinaus dazu aber grundsätzlich nicht verpflichtet. Da ausländische Rechtsnormen als Rechtssätze und nicht als Tatsachen behandelt werden, finden insoweit die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast keine Anwendung (Hamburger Leitlinien (2023), Art. 1 § 1 Ziff. 3 unter Hinweis auf BGH, Beschl. v. 24.08.2022 - XII ZB 268/19). Aus prozesstaktischen Gründen sollte jede Partei gleichwohl zum ausländischen Recht vortragen. Bereits aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich in einem internationalen Rechtsstreit von erfahrenen, spezialisierten Rechtsanwälten vertreten zu lassen, die souverän und kompetent den Rechtsstreit führen und das Gericht überzeugen können.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist das ausländische Recht von dem zuständigen Gericht so zu ermitteln und anzuwenden, wie es von den Gerichten des betreffenden Landes angewendet wird bzw. angewendet würde (vgl. BGH, Urt. v. 05.07.2023 - IV ZR 375/21 Rn. 27).

Zwar ist nach Ansicht des BGH die Anwendung ausländischen Rechts nicht revisibel (unter Verweis auf § 560 ZPO in Verbindung mit § 545 ZPO). Das Revisionsgericht ist grundsätzlich an die Feststellungen des Berufungsgerichts über den Inhalt ausländischen Rechts gebunden. In anderen Worten: Deutsches Recht ist revisibel, ausländisches Recht nicht. Allerdings unterliegt die Ermittlung des ausländischen Rechts sehr wohl höchstrichterlicher Überprüfung (vgl. BGH, Urt. v. 05.07.2023 - IV ZR 375/21 Rn. 24).

Die in einem intensiven Austausch zwischen Praxis und Wissenschaft erarbeiteten und von dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg veröffentlichten "Hamburger Leitlinien zur Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts in deutschen Verfahren" (Hamburger Leitlinien) unterstützen Gerichte, Sachverständige und Parteien (einschließlich ihrer Vertreter) im Umgang mit ausländischem Recht bei internationalen Rechtsstreitigkeiten. Sie stellen in kompakter Form den maßgeblichen Rechtsrahmen dar und geben eine Vielzahl praktischer Handlungsempfehlungen (Michaels/Schmidt, Die Hamburger Leitlinien zur Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts in deutschen Verfahren, NJW 2024, 24 mit weiteren Informationen zum Hintergrund, Inhalten und Ausblick).

Die Hamburger Leitlinien sind auf Verfahren vor Zivilgerichten ausgerichtet, im
Grundsatz aber auch auf andere Fälle anwendbar, in denen deutsche Gerichte
oder Behörden (z.B. Finanzgerichte, Strafgerichte, Asylbehörden, Finanzbehörden, Standesämter) ausländisches Recht anzuwenden haben (Hamburger Leitlinien (2023), Vorbemerkung).

Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte sagen die Hamburger Leitlinien nichts, da die Gerichte diese Frage anhand der einschlägigen Rechtsquellen (z.B. Brüssel Ia-VO, Brüssel IIb-VO, §§ 97 ff. FamFG) eigenständig beantworten können und müssen (Hamburger Leitlinien (2023), Vorbemerkung).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Hamburger Leitlinien ein hilfreiches Instrument für die Praxis darstellen.

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Die Hamburger Leitlinien sind unter der Creative-Commons-Lizenz CC-BY 4.0 lizenziert. Herausgeber ist das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg. Urheber sind Prof. Dr. Ralf Michaels und Priv.-Doz. Dr. Jan Peter Schmidt. Die Hamburger Leitlinien sind hier abrufbar.