Empfangsbedürftige Willenserklärungen und geschäftsähnliche Handlungen (z.B. Mängelanzeigen, Abmahnungen) werden nach § 130 BGB wirksam, wenn sie dem anderem Vertragspartner zugehen.
Den Zugang der Erklärung hat derjenige zu beweisen, der sich auf den Zugang beruft. Diese Beweislastverteilung gilt auch für den Zeitpunkt, also die Rechtzeitigkeit des Zugangs.
Zur Darlegungs- und Beweislast des Zugangs einer E-Mail werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.
- Einerseits wird vertreten, dass dem Absender einer E-Mail der Beweis des ersten Anscheins dahingehend zur Seite stehe, dass die von ihm versandte E-Mail beim Empfänger eingegangen ist, wenn nicht eine Rücksendung als unzustellbar eingegangen ist. Dies gelte auch dann, wenn die Nachricht möglicherweise in einen Spamfilter gelangt ist. Eingegangen sei eine E-Mail beim Empfänger einer Willenserklärung, wenn sie auf dem Server des Empfängers oder seines Providers abrufbar gespeichert ist (AG Frankfurt a.M., Urt. v. 23.10.2008 – 30 C 730/08).
- Andererseits wird vertreten, dass der Zugang der E-Mail gemäß § 130 BGB vom Versender darzulegen und zu beweisen sei. Die Absendung der E-Mail begründe keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.08.2018 - 2 Sa 403/18). Dies gelte auch für ein Sendeprotokoll (vgl. MüKoBGB/Einsele, 9. Aufl. 2021, BGB § 130 Rn. 47).
Das LAG Köln hat sich in einem aktuellen Urteil (LAG Köln, Urt. v. 11.01.2022 - 4 Sa 315/21) der zuletzt genannten Auffassung angeschlossen. Die Absendung der E-Mail begründe keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger. Ob nach dem Versenden einer E-Mail die Nachricht auf dem Empfängerserver eingeht, sei nicht gewiss. Wie auch bei einfacher Post sei es technisch möglich, dass die Nachricht nicht ankommt. Dieses Risiko könne nicht dem Empfänger aufgebürdet werden. Denn der Versender wähle die Art der Übermittlung der Willenserklärung und trage damit das Risiko, dass die Nachricht nicht ankommt. Um sicherzustellen, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht hat, habe der Versender über die Optionsverwaltung eines E-Mail-Programms die Möglichkeit, eine Lesebestätigung anzufordern (vgl. BGH, Beschl. v. 17.07.2013 - I ZR 64/13).
Anmerkung
Diese Rechtsprechung ist nicht nur relevant in Arbeitsverhältnissen. Sie ist in allen Situationen zu beachten, in denen der Zugang einer Willenserklärung nachgewiesen werden muss, z.B.
- Angebot und Annahme
- Aufrechnungserklärung
- Aufforderung zur Nacherfüllung
- Kündigung
- Rücktritt
- Widerruf
- Minderung
Auch bei einem Telefax begründet der OK-Vermerk des Sendeberichts nach wohl noch herrschender, wenn auch mittlerweile stark umstrittener Ansicht keinen Anscheinsbeweis, sondern lediglich ein Indiz für den Zugang des Telefaxes, weil damit nur die Herstellung der Verbindung zwischen dem Sende- und dem Empfangsgerät angezeigt wird. Hingegen sagt der Sendebericht nichts darüber aus, ob die Daten tatsächlich übermittelt wurden oder ob Leitungsstörungen bzw. Defekte am Empfangsgerät dieses verhinderten. Immerhin belegt aber der OK-Vermerk, dass mit der im Sendebericht aufgeführten Nummer eine Verbindung zustande gekommen ist. Daher hat der Empfänger im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast vorzutragen, welches Gerät er an der Gegenstelle betreibt, ob die Verbindung im Speicher des Geräts enthalten ist, ob und auf welche Weise er eine Dokumentation des Empfangsjournals führt, auch hat er dieses ggf. vorzulegen (vgl. MüKoBGB/Einsele, 9. Aufl. 2021, BGB § 130 Rn. 47). Darauf sollten Sie sich im Streitfall aber nicht verlassen.
Praxishinweise
In wichtigen Fällen sollte die Erklärung – vorab per E-Mail mit Anforderung der Lesebestätigung sowie anschließend – per Einschreiben bzw. Boten übersandt werden. Für die Korrespondenz unter Rechtsanwälten/innen ist die Zustellung per beA sinnvoll.
Soweit Rechtsanwälten/innen ihre Mandanten mittels einer E-Mail auf die am selben Tag ablaufende Rechtsmittelfrist hinweisen und sie zur Einlegung des Rechtsmittels motivieren wollen, müssen sie die Kenntnisnahme ihrer E-Mail durch die Anforderung einer Lesebestätigung sicherstellen (vgl. BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – I ZR 125/21).
Update
Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich (vgl. BGH, Urt. v. 06.10.2022 – VII ZR 895/21).
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